Olivenöl aus der Fettecke holen
Vielleicht begünstigte mich, dass ich nicht mit Olivenöl aufgewachsen war: Ich konnte einen anderen Blick auf die Olive werfen. Aber vielleicht war es auch der Zufall, dass ich das als ingenieurwissenschaftlich ausgebildeter Betrachter ungewohnte Fragen stellen konnte. Schnell war mir klar, dass die Olive nicht wie bisher als Fettlieferant – wie bei den Ölsaaten –gedacht werden müsste, sondern wie eine Weintraube, aus deren Sortenvielfalt Winzer genussvolle Getränke in ebenso großer Vielfalt erzeugen. Wie in der Traube entsteht der aromatische Extrakt bei Oliven nicht in den Kernen, sondern in den Fruchtzellen. Nur ganz wenige Früchte bilden in ihren Fruchtzellen Fettsäuren aus, die dann nicht nur Träger der Grundbaustoff e späterer Aromabildung sind, sondern auch die Träger der gesundheitlich wertvollen, sekundären und bioaktiven Begleitstoff e, weshalb wir Obst, Gemüse und Salat essen. Diesen verborgenen Schatz aus den über hundert verschiedenen autochthonen Olivensorten mediterraner Länder zu heben, wurde das Unternehmensziel. In den Rezeptempfehlungen sollte zukünftig nicht mehr 4 EL Olivenöl stehen, sondern 4 EL herzhaft grünfruchtiges Öl der Koroneiki-Olive oder feinaromatisch florales Öl der Nocellara del Belice. Für eine solche Perspektive fehlt es bis heute an allen wissenschaftlichen, ökonomischen, praktischen und auch politischen Voraussetzungen. Anders als beim Wein wurde die Olive nicht beforscht, es gibt fast keine wissenschaftliche Literatur und keine Schulen oder Studiengänge für eine Ausbildung. Durch einige Idealisten auch Quereinsteiger, die wie wir das zu ändern suchen, beginnt sich das in Ansätzen zu ändern. Es geht einher mit der Bildung eines noch kleinen Nischenmarktes.
Mit eigener Forschung und dem Aufbau der Vorstufe einer Olivenfachschule konnten wir bisher in dreizehn Regionen Spaniens, Italiens, Kroatiens und Griechenlands Olivenanbauer davon befreien, nur noch hilflose Rohstofflieferanten für den Massenmarkt zu sein. Die Erzeuger entwickeln sich mit der eigenen Wertschöpfung ihrer Oliven, den Winzern gleich, zu Olivers. Ohne eine Weiterentwicklung der Konsumenten zu Prosumenten, die als nachhaltige Investoren für diese Entwicklung und mit der Bereitschaft für eine adäquate und damit faire Bezahlung des Produkts fungieren, wären Olivenanbauer nur schwer für neue Wegen zu gewinnen gewesen. In einer mittlerweile fast familiären Beziehung von Verbraucher*innen und Erzeuger*innen bietet arteFakt heute „Winzer-Olivenöle“ von dreizehn Familienbetrieben und Cooperativen an, hintern denen zum Teil ganze Dörfer stehen. Alle diese Oliviers haben bereits die Trennung von Anbau und Wertschöpfung durch den Besitz auch einer eigenen Olivenmühle aufheben können oder sind auf dem Weg dorthin. Neben den Investitionshilfen der arteFakt-Freunde stützen sie dabei Preise, mit denen sich auch Gewinne erwirtschaften lassen, somit Rücklagen für eigene Investitionskraft. In allen Betrieben sind die Kinder geblieben und führen die Arbeit ihrer Eltern fort, mit den wir vor 25 Jahren begonnen haben.
Diese Generation steht mit dem Klimawandel nun vor noch größeren Herausforderungen als ihre Eltern.
Anders als bei ihren Eltern wird es nicht mehr reichen, dass sie allein sich ändern. Sie werden diese Herausforderungen als Gemeinschaften ihrer Region und ihrer Orte aufnehmen müssen. Die Aufgaben werden größer und komplexer als die bisherigen werden und auch wieder Neuland sein. Unterstützungen und Partnerschaften werden sich diesen Dimensionen anpassen müssen. Mit siebzig Jahren und als bisheriger alleiniger Gesellschafter der GmbH habe ich arteFakt daher als Mitgift für die mir nachfolgenden Generationen in eine Genossenschaft umgewandelt und eingebracht. Fast achthundert arteFakt-Freunde und -Freundinnen sind mir dabei mit ihren Einlagen von über einer Million Euro bereits gefolgt. Diese Gelder werden nun in Klimaprojekte in den Regionen der Oliviers investiert. Die Transformation vom shareholder zum fairholder wird in vielen Bereichen notwendig werden, damit unsere Kinder und Enkelkinder es ebenso lebenswert haben werden, wie es meiner Generation beschieden ist."