Ralph Riquier, r2dental für das Suter Dental Labor DENTALtalk
Der intraorale Scan (IO-Scan, IOS) verspricht eine Vereinfachung bei der Durchführung von Abformungen. Aber bedeutet dies auch, dass mögliche Fehlerquellen reduziert werden? Stellt man die digitale Abformung (IOS) der analogen gegenüber, so ist die Komplexität im digitalen Ablauf deutlich reduziert. Löffelauswahl, Anmischen, Verarbeitungszeiten, etc. entfallen gänzlich und das Handling wird vereinfacht. Die Gesamtgenauigkeit der getätigten Abformung ist beim IO-Scan nicht von Einflüssen wie: Abformmaterial, Zeiten, Rückstellvermögen, etc. abhängig. Die einzige Einflussnahme ist hier das Befolgen der vorgeschriebenen Scanstrategie sowie die Anwendung innerhalb des freigegebenen Indikationsgebietes. Dies ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Eine gelungene Abformung ist mehr als nur das Erzielen einer verzugsfreien Gesamtpräzision

Bestehende Fehlerquellen
Die detailgetreue Abbildung der Präparationsgrenze erfordert im analogen als auch im digitalen Ablauf die gleiche Sorgfalt. Die Präparationsgrenze muss eindeutig definiert und freigelegt sein (Abb 01). Blut und Speichel im Sulkus müssen vermieden werden und sie darf nirgends von Gingiva bedeckt werden (Abb 02). Da bei der digitalen Abformung kein „Verdrängungseffekt“ der Gingiva durch das Abformmaterial erfolgt, ist die eindeutige, sichtbare Freilegung der Präparationsgrenze während des IO-Scans essenziell.
Des Weiteren gehört zum Abformungsprozess auch die Kieferrelationsbestimmung. Auch hier wird eine Vereinfachung im digitalen Workflow propagiert. Der Vestibulärscan ist die digitale Ant-wort auf den analogen Quetschbiss. Einfach und schnell. Weniger Erwähnung findet das diese
Verschlüsselungsmethode nur zuverlässig funktioniert, wenn:
1) alle Quadranten mit dem Vestibulärscan erfasst wurden.
2) während des Scanvorgangs keinerlei Verschiebung des Unterkiefers erfolgte.
Um diese Anforderungen zu erfüllen, ist es selbst bei Patienten mit einer abgestützten Okklusion notwendig, die Bisslage sicher zu fixieren. Bei Patienten mit Freiendsituation oder größerem Lückenbiss bleibt die Fixierung mit Bissregistraten obligat.

Abb 01: "Klar definierte und spreichelfreie Präparationsgrenzen sind die Grundlage."

Abb 02:"Gingivaanteile dürfen die Präparationsgrenze nicht verdecken"
Mögliche Fehlerkorrektur
Präparationsgrenze:
Scanartefakte, hervorgerufen durch Speichel oder reflektierende Stumpfoberflächen, können auf dem Datensatz entstehen (Abb 03). Einfache Artefakte lassen sich zumeist durch Beschneiden beseitigen (Abb 04).

Abb 03: "Scanartefakte wie "Tunnel" verursachen erhebliche Probleme bei der Weiterverarbeitung im CAD."

Abb 04: "Oberflächenartefakte lassen sich zumeist einfach beschneiden"
Ist ein „Tunnel“ entstanden, wird die softwareseitige Beseitigung schwieriger. Wenn ein Nachscannen nicht möglich ist, können spezielle Softwaretools für eine präzise Manipulation der Scandaten eingesetzt werden (Abb 05).

Abb 05:"Für die Beseitigung eines Tunnels werden spezielle Softwarelösungen benötigt"
Hierbei wird zuerst die Prepline oberhalb des Tunnels markiert (Abb 06). Im Anschluss lässt sich die Linie dann entsprechend dem Verlauf absenken (Abb 07).

Abb 06:"Markierung der Präparationsgrenze oberhalb des Tunnels"

Abb 07:"Das Resultat mit freigelegter Präparationsgrenze."
Ähnlich kann eine Beseitigung von Gingivaanteilen oder Speichelblasen erfolgen (Abb 08). Die angelegte Präparationsgrenze wird vor und nach der Überlagerung angeklickt und das Zwischensegment kann in XY- oder Z-Richtung unabhängig von den Scandaten bewegt werden (Abb 09).

Abb 08:"Gingivaanteile bedecken einen Teil der Präparationsgrenze."

Abb 09:"Die Präparationsgrenze wird partiell abgesenkt."
Krümmungsbasiertes Morphing verbindet die neue Lage der Präparationsgrenze mit dem Stumpfscan (Abb 10).
Solche Manipulationen sollten immer nur die letzte Möglichkeit sein, wenn ein Nachscannen auf Behandlerseite nicht möglich ist oder keine besseren Scan-Ergebnisse zu erzielen sind. Die enge Absprache mit dem Behandler ist bei jeglichen Korrekturen erforderlich.

Abb 10:"Die neu definierte Präparationsgrenze"
Bisslage:
Die häufigsten Fehler bei der digitalen Zuordnung (Matchen) von Unterkiefer- zu Oberkieferdaten durch einen Vestibulärscan sind Verkippungen oder Verdrehungen (Abb11).

Abb 11:"Zu klein dimensionierte Vestibulärscans verursachen Verkippungen beim Matching."
Verkippungen entstehen zumeist durch eine zu geringe Dimensionierung oder der ausschließlich einseitigen Aufnahme des Vestibulärscans. Verdrehungen der Kieferhälften zueinander sind häufig das Resultat einer Verschiebung des Unterkiefers während des Vestibulärscan (Abb12./13 Auch hier kann die Korrektur in einer spezialisierten Software erfolgen.

Abb 12:"Einseitige okklusale Kontaktpunkte können durch fehlerhaftes Matching hervorgerufen werden."

Abb 13:"EIn Versatz des Unterkiefers während des Vestibulärscans führt zu starken Durchdringungen"
KI (künstliche Intelligenz) gestützte Algorithmen ermöglichen eine neue Justierung der habituellen Interkuspidation (Abb 14 Abb 15). Optimierungsziele wie „maximaler Vielpunktkontakt“ oder „tiefste mögliche Interkuspidation“ lassen sich definieren.
Da der Ablauf des Matchings durch den Behandler nicht zu beeinflussen ist, sind KI-basierte Korrekturen des Matchingfehlers ein wichtiger Baustein in der digitalen Prozesskette. Natürlich muss auch hierbei die neu eingestellte Interkuspidation auf Behandlerseite verifiziert werden. Das automatisch erstellte Okklusionsprotokoll stellt die erzielten
Kontaktbeziehungen eindeutig dar (Abb 16).

Abb 14: "KI-basierte Okklusionskorrektur auf maximaler Vielpunktkontakt (MasterCP)

Abb 15:"KI-basierte Okklusionskorrektur auf maximaler Vielpunktkontakt (Master CP)"

Abb 16:"Okklusionsprotokoll zur Verifizierung durch den Behandler."
Zusammenfassung
Digitale Prozesse bergen gegenüber analogen Arbeitsschritten das Potenzial, die täglichen Abläufe zu vereinfachen. Das Fehlerpotential lässt sich hierdurch in bestimmten Bereichen verringern. Ein Teil der fehleranfälligen Prozessschritte bleibt aber auch im digitalen Workflow bestehen. Die Korrektur solcher Fehler sollte frühzeitig erfolgen um möglichst wenig zusätzlichen Arbeitsaufwand zu generieren. Ist ein Neuscan nicht möglich, kann mit speziellen Softwaretools die Korrektur von Scanartefakten, der Präparationsgrenze und der Bisslage erfolgen. Trotz dieser Möglichkeiten dürfen Korrekturen niemals willkürlich erfolgen. Alle Adaptionen müssen immer mit dem Behandler abgestimmt und von diesem freigegeben werden.

ZTM Ralph Riquier - r2dental - CAD/CAM Consultant - Niemandsberg 77 - 75196 Remichingen - Mail: